Die jährlichen Herbstkonferenzen des JAPCCoE bringen jeweils hunderte „militärische, politische“ „Führer“ sowie Leitungskräfte aus Industrie und Wissenschaft zusammen. Die Größe dieser Nato-Katalysator-Konferenz kommt auch in dieser Selbsteinschätzung zum Ausdruck: Das JAPCCoE spricht von „einer hochrangigen zentrale(n) Veranstaltung“
1. Kein Wunder, wenn die Öffentlichkeit darüber im uninformierten Modus gehalten wird. Man will ja nicht, dass es wieder zu solchen Friedensdemonstrationen wie in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts kommt, auch nicht in Kalkar, wo einst Großdemonstrationen gegen den damals geplanten Atommeiler, der als Schneller Brüter auch für die Produktion von Nuklearwaffen ausgelegt werden sollte, überregionale Aufmerksamkeit brachten.
Die Konferenz 2012 hieß „Kriegshandwerk im 21. Jahrhundert“. Wie sich das mit dem Friedensgebot des Völkerrechts nach Art. 1 Ziff. 1 der UN-Charta (‚Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen…‘) vereinbart, konnte Geheimnis der Nato bleiben, da man offensichtlich gut dafür sorgt, dass niemand die breite Öffentlichkeit über dieses Ereignis informiert. Was Gegenstand der Beratungen in Kalkar gewesen sein wird, offenbart ein Papier der Kalkar/ Kleve-Konferenz von 2010 teilweise: Da ging es um ALI. Das Ist Air Land Integration und meint die volle „Orchestration und Anwendung“(!) aller Kapazitäten zu Land und in der Luft. Damit ist unausgesprochen die Atomwaffe mit im Spiel.
Man spricht vom Schlachtfeld, in dem diese Orchestration ineinandergreifend zusammen wirkt, unabhängig davon, welche Komponente zu welchem Verantwortungsbereich gehört2. Die Nato definierte sich noch im der Chicago-Gipfel 2012 als nukleares Bündnis3. In ihrer Pressemitteilung vom 20.Mai 2014 bekräftigt sie, solange es Atomwaffen gibt, bleibe die Nato eine nukleare Allianz.
Der Koalitionsvertrag von SPD und Union vom 14.12.2013 bekräftigt die Beschlüsse der Nato von Chicago und konkretisiert: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben“.4
Die Unvereinbarkeit, dieser Textstelle mit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes zum Thema ist das eine. Der IGH erklärte im Juli 1996„Atomwaffen 1996 für „prinzipiell illegal“5.
Das andere ist, dass in Chicago eine Modernisierung der Atomwaffen der Nato beschlossen wurde. Dort wurde auch vereinbart, sicherzustellen, dass alle Komponenten der ‚nuklearen Abschreckung der Nato‘ „sicher und wirksam“ bleiben. Das konkretisiert sich dann in der Modernisierung statt Abschaffung der Atomwaffe, etwa aus Büchel bei Koblenz.
Das ganze bezieht sich auf den Beschluss von Chicago, wo der damalige Bundesaußenminister und Kanzlerin Merkel einknickten, obwohl sie dadurch gegen den Koalitionsvertrag verstießen (05. September 2012) und sich bereit erklärten, die Modernisierung von 5113 Nato-Atomsprengköpfen, darunter die ca. 20 in Deutschland, mitzutragen (Zeit, 3. November 2013).
Nach dem Entscheid des Internationalen Gerichtshofes vom 8.7.1996 sind die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen völkerrechtswidrig, dies schon deshalb, weil sie keinen Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilpersonen machen. Das wiederum passt zur Definition von Terror.
Es bedarf nicht einmal unbedingt der Atomwaffe, es kann der Krieg in einer Region reichen, in der auch Atomkraftwerke liegen. In Europa befinden sich circa einhundert Atomkraftwerke, von denen das größte in der Ukraine liegt. Das damit verbundene Risiko scheint die Nato eingehen zu wollen: In Kalkar/Kleve fand vom 18. bis zum 20. November die Tagung des JAPCC von diesem Jahr statt, diesmal unter dem Titel Future Vector, wie auch eines der Projekte in Kalkar genannt wird, bei dem die Verknüpfung von All-gestützter Kriegsführung mit der Luftwaffe, und damit mit einer Fusion weiterer
Bereiche Thema ist; die weiteren Bereiche sind. Hier wird konkret das ALI-Konzept weiterentwickelt, also explizit die Verbindung der Feuer-Schlagkraft, der Luftwaffe und digitaler Unterstützung etwa bei der Auswahl von Zielen im verknüpften Schlachtfeldmanagement6.
Dieses Konzept wurde schon in der JAPCC-Konferenz von 2010 bearbeitet7.
2014 wurde es unter dem Begriff >Nexus< weiter entwickelt: Damit ist Zusammenführung von den bisherigen Ebenen der Kriegsführung mit dem Internetkrieg gemeint, was in der Konferenz von 2014 ‚Cyber Power‘ genannt wurde8. Nach einem Text in der ‚Welt‘ vom 25.11.2010 mit dem Titel „Wie Computerviren Atomanlagen manipulieren“ ist der Phantasie, was die Cyber-Krieger alles ohne einen Bombenkrieg anrichten können, keine Grenze gesetzt. Es geht wieder um die ‚weite Orchestration‘ (Tagungsunterlage Future Vector – Present Paradox – Future Challenge, Kalkar 2014, S.133) aller militärischen Möglichkeiten im Verbund. Die Strategen mögen Orchester, der Begriff findet sich wiederholt in Nato-Unterlagen. Die Beschönigung und Verharmlosung, sowie die Abwälzung von Verantwortung auf den Gegner oder Feind ist ein psychologisches Mittel, um das Intolerable auszuhalten, an dem man zu planen im Rahmen des eigenen Jobs den Auftrag hat, den man mithilfe solcher psychischen Mittel sogar verinnerlichen kann, als wäre es ein eigener Antrieb.
Im Tagungsmaterial „Air & Space Power in Nato“ Part I steht Seite 141, die zwei Jahrzehnte lange Annahme, es gebe keinen großen Krieg (‚major war‘) mehr in Europa sei anzuzweifeln (‚is in some doubt‘). Als mögliche Ausgangspunkte für einen solchen infernalen Flächenbrand nennt das Papier die Ukraine, das Baltikum und Georgien. Man macht das am Russischen Expansionsdrang fest. Zugleich freut sich die Nato laut Tagungsunterlagen darüber, dass die Nato seit dem Ende des Kalten Krieges zwölf neue Mitgliedstaaten hat, und dass man Frieden auf den Balkan gebracht habe (ebenda, S. 39). Wie eskalationsanfällig diese Selbstgefälligkeit ist, das zeigen u.a. die Worte von Michail Gorbatschow in seiner Rede am 9. November 2014 anlässlich der Feier zum Fall der Mauer: „Die Ereignisse der vergangenen Monate sind die Konsequenzen aus einer kurzsichtigen Politik, aus dem Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Interessen des Partners zu ignorieren.“
Bereits in den 1990er Jahren habe der Westen begonnen, im Verhältnis zu Russland das Vertrauen zu untergraben, das die friedliche Revolution in Deutschland und in Mittel-Osteuropa möglich gemacht habe. „Die Nato-Erweiterung, Jugoslawien und vor allem das Kosovo, Raketenabwehrpläne, Irak, Libyen, Syrien“, nannte Gorbatschow als Beispiele. „Und wer leidet am meisten unter der Entwicklung? Es ist Europa, unser gemeinsames Haus.“ (ntv, 10.11.2014) Die Nato erweist sich als Gefahr für das Überleben des Erdteils Europa und damit für die Menschheit, indem sie mit der Methode ‚haltet den Dieb!‘ den eigenen Expansionsdrang hinter Maßnahmen der Gegenseite versteckt und bis zur Gefahr des Atomkriegs (Jazenjuk sprach im Mai 2014 vom 3. Weltkrieg) geht; Gorbatschow dazu am 9. November 2014: „Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt hatte Gorbatschow zuletzt immer wieder Kritik am Westen geäußert und die USA als „Seuche der Welt“ bezeichnet.“ (ebenfalls in ntv).
Es kommt aber noch schlimmer: Im Tagungsmaterial ‚Present Paradox – Future Challenge‘ lesen wir Seite 102: Neuerungen in der Antriebskraft, Nanotechnologie, Roboterisierung und Miniaturisierung werden ganz neue Möglichkeiten mit sich bringen. Eine Seite weiter freut man sich über die Möglichkeiten, die unbemannte Systeme mit sich bringen. Drohnen kommen mehrfach in den Unterlagen vor. Sie werden ‚unmanned aereal vehicles‘ genannt. Eins der Papiere in Kalkar befasst sich mit der Psychologie fernbedienter Kriegsführung. Es kommt zu dem Schluss, dass sich viele bedenkliche ethische Fragen stellen, aber wenn man erst einmal viele Millionen in das System hineingesteckt habe, sei es schwer, sie wieder zu verschrotten [‚to scrap‘] (The Psychology of Remote Control Warfare). Das Verschrotten ist Aufgabe der Friedensbewegung. Es ist auch insofern ein Erfordernis, als die Militärs und der Militärisch-Industrielle Komplex (MiK) Mittel in die Hand bekommen, die ihre Vorstellungskraft bei weitem übertreffen, und die in den letzten Konsequenzen, wenn die Eigendynamik der Prozesse ihre Logik entfaltet, verheerend für die Gattung Mensch wirken. Eisenhower warnte einst vor dem MiK als einer „neuartigen Verbindung eines immensen Militärestablishments und seiner riesigen Rüstungsindustrie“, Berliner Zeitung , 5.10.2014 Die Wirkungen der Technologiesprünge in der Waffenproduktion und -anwendung übertreffen die bisherige Vorstellung von Laien und Experten um Welten, wenn man sich ein Papier des Bundestags vom 25.08.2014 ansieht: ‚Aus Politik und Zeitgeschichte‘: >>Waffen und Rüstung<< — Auf der Rückseite liest man unter dem Titel „Automatisierte Kriegsführung – Wie viel Entscheidungsraum bleibt dem Menschen?“: „Wie lange Menschen noch als Überwacher und Entscheider gebraucht werden, ist fraglich.“ Wer ist das Subjekt dieser Frage, der Überwacher und Entscheider braucht? Der Krieg? Ich stelle fest, unsere Gesellschaftsordnung, die auf industrielle Bedürfnisse ausgerichtet ist, auf Märkte, Konkurrenz und Rendite nach Investitionen, nennen wir sie Kapitalismus, erweist sich als unfähig, Gefahren für das Überleben der Gattung abzuwenden, sondern begünstigt mit Milliardeninvestitionen einen Prozess, der die Zukunft, das Leben gefährdet.
In Kalkar waren 2014 sehr viele Rüstungskonzerne Sponsoren, so Airbus Defence and Space, United Technologies, und viele andere mehr… Der Kapitalismus ist offensichtlich die überlegene Form menschlichen Zusammenlebens. Der Aufruf zur ersten großen Friedensdemonstration der 80ger Jahre am 10.10.1981 >> Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen!<< machte mit dem Satz auf: „Die 80er Jahre werden mehr und mehr zum gefährlichsten Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit.“ Wir sind jetzt drei Jahrzehnte weiter. Damals kursierte der Text des britisch-amerikanischen Militärstrategen der US-Regierung Colin S. Gray >>Victory is possible<<, Sieg ist möglich. Zitat: „Eine Kombination von offensivem Entwaffnungsschlag, Zivilschutz und einem Abwehrsysten.. müsste die US-Verluste so niedrig halten, dass ein … Überleben und Wiederaufbau möglich sind.,,, Es ist unwahrscheinlich, dass ein Atomkrieg ein in sich sinnloses und fatales Ereignis darstellt.9“
Solcher Wahnsinn wird heute verklausulierter gesprochen, wenn man von taktischen Atomwaffen spricht, vom Orchester und wenn Schlachtfeld Wirk- und Informationsraum genannt wird10.
Wir müssen das menschliche Denken und Handeln ändern, ehe wir der Geister nicht mehr Herr werden, die es unter kapitalistischen Verhältnissen hervorgebracht hat. Cyberwar und Roboterisierung des Krieges etc. sind in einer UNO-Konvention und natürlich auch vor Ort bei uns hier in Deutschland zu verbieten. Die Friedensbewegung muss auf eine möglichst effektive Koordination in sich und mit den ökologischen und sozialen Bewegungen, darunter die Gewerkschaftsbewegung hinwirken. Zunächst heißt das: Wir verstärken unsere Kampagnen gegen den Krieg des 21. Jahrhunderts in Kalkar und am Atomwaffenstandort Büchel sowie den anderen Nato-Kommandostrukturen und untergeordneten Einrichtungen. Neuralgische Punkte der Neuausrichtung der Nato und der Bundeswehr wie die Drohnenbeschaffung
oder der immer weitere Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee, statt zur Wehr gegen Angriffe, muss mit der Kenntnis der wahren Hintergründe skandalisiert werden. Ein Nato-Austritt ist eine sich daraus ergebende unvermeidliche Folge. Und: Die Friedensbewegung muss ihre Kräfte bündeln, bei aller klaren Ausrichtung auf eine demokratische Gesellschaft. Was die CDU einst über den Faschismus sagte, gilt heute im Hinblick auf die Nato umso mehr: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“ (Ahlener Programm von 1947)
Die Ereignisse des Friedenswinters sind der erste Schritt gegen die als Verantwortung verkaufte Kriegspropaganda, die Sicherheitskonferenz in München, das offizielle Pendant zur geheimen Kalkar-Konferenz müssen wir skandalisieren, Abgrenzung gegen rechte Einflussversuche stellen wir einen humanistischen Grundkonsens entgegen, der von der Würde und den Lebensinteressen eines jeden Menschen und der Natur überhaupt ausgeht. Im Kleinen wie im Großen ist der Friede der Weg, der Dialog als Verständigung von Interessen auf dem Weg der Überwindung einer Gesellschaft, in der das Leben dem
Zweck des Ertrags mit Investitionsschutz untergeordnet und gefährdet wird. Fangen wir vor Ort an, denken wir bei allem lokalen Geschehen zugleich global! Atomwaffen abschaffen, Drohnen verbieten, Einrichtung für den Krieg im 21. Jahrhundert schließen, Waffenexport verbieten, das eingesparte Geld in die Bildung, Sozialpolitik und in
die Rettung der natürlichen Lebensräume der Menschheit investieren, denn wir wollen Leben.
Zusammen leben. Es gibt dazu keine Alternative.
Friedensratschlag 2014 / B. Trautvetter 5
1 https://www.coecsw.org/our-work/spotlights/a-perfect-air-power-arena/
2 https://www.japcc.org/events/conference/2010/Documents/100830_JAPCC_Conference_2010_-
_Read_Ahead_Material.pdf)
3 https://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_87597.htm
4 https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf
5 https:// www.friedensbildung.org/projekte
Friedensratschlag 2014 / B. Trautvetter 2
6 https://aerterra.co.uk/what-is-air-land-integration-ali/description/
7 https://www.japcc.org/events/conference/2010/Documents/100830_JAPCC_Conference_2010_-
_Read_Ahead_Material.pdf
8 Tagungsunterlage Future Vector, Air &Space Power in Nato, Part I Kalkar 2014 S.101
9 u.a.: https://www.jstor.org/discover/10.2307/1148409?sid=21104894984361&uid=2&uid=4&uid=3737864